Tom Blomefield und Tengenenge

Tom Blomefield war Sohn einer Künstlerin und eines Möbelschreiners, er hatte während des Krieges widerwillig in der Navy gedient und wollte Farmer werden. Wie viele Südafrikaner kam er nach Ende des Zweiten Weltkriegs nach Rhodesien und fand Arbeit auf einer Tabakfarm in der Guruve Region.

Nach einigen Jahren heiratete er die Schwester eines benachbarten Tabakfarmers, kaufte 100 Meilen nördlich von Salisbury ein Stück Land und legte seine eigene Tabakplantage an. Nach anfänglichen Schwierigkeiten war 1950 sein Traum Wirklichkeit geworden, er hatte es als Tabakfarmer zu einigem Wohlstand gebracht, war verheiratet und hatte Kinder.

Für damalige Verhältnisse war Blomefield ein sehr eigenwilliger Charakter. Er sprach verschiedene afrikanische Sprachen und hatte Lebensweisen und Gebräuche von seinen Arbeitern übernommen.

tengenenge sculpture community

Seine Farm nannte er Tengenenge. In der Sprache der Chewa aus Malawi bedeutet das Wort „Ursprung des Ursprungs”. Atmosphäre und Arbeitsklima waren bestimmt von gegenseitigem Respekt und freundschaftlichen Umgang miteinander.
Tengenenge lief hervorragend, bis die Region von einem verheerenden Zyklon heimgesucht wurde, dem eine anhaltenden Dürreperiode folgte. Kurz vor dem vollständigen Ruin entdeckte Blomefield Chrom auf seinem Land, dessen Abbau es ermöglichte, die Farm wieder aufzubauen.
Obwohl das Chrom auf seiner Farm ihm wieder zum reichen Mann gemacht hatte, fühlte Blomefield eine Unzufriedenheit. Er spürte, daß in seinem Leben noch etwas anderes geben müsse, als Tabak zu pflanzen und Chrom abzubauen.

1965 reagierte die UNO auf die einseitig erklärte Unabhängigkeit Rhodesiens (UDI) mit einem weltweiten Handelsembargo. Da Blomefields wichtigste Güter fast ausschließlich für den Export bestimmt waren, kamen Bergbau und Farmbetrieb zum Erliegen. Blomefields Ersparnisse waren bald aufgebraucht und die Existenz seiner Familie war ebenso bedroht wie die seiner Farmarbeiter.

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Nachdem eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation Rhodesiens nicht abzusehen war, besann sich Blomefield des künstlerischen Talents seiner Mutter und faßte den Entschluß, einen Jugendtraum in die Tat umzusetzen und Bildhauer zu werden. Er hatte von den ersten Erfolgen der Künstler in Vukutu und der Nationalgalerie gehört und sah in der Kunst eine ernsthafte Alternative, sich und seinen Arbeitern den Lebensunterhalt zu sichern.
Nur wenige Tage später stattete Crispen Chakanyuka, der in Vukutu von Joram Mariga unterrichtet worden war, Tengenenge einen Besuch ab. Crispen wurde nicht nur Tom Blomefield´s Lehrer, er machte ihn auch auf die riesigen Serpentinvorkommen aufmerksam, die auf seinem Farmgelände in den Hügeln des Great Dyke lagen.

Der aus Malawi stammende Leman Moses, einer der Farmarbeiter, diente Tom zunächst als Modell. Auf Blomefields Drängen hin begann Leman schließlich selbst Steine zu behauen.

Seine Arbeiten unterschieden sich deutlich von dem sehr naturalistischen Stil Crispens. Er verarbeitete Muster und Formen der traditionellen Maskenschnitzer, die bei seinem Volk, den Chewa, und vielen anderen Völkern Zentralafrikas seit Jahrhunderten gebräuchlich sind. So hatte die Bildhauerbewegung unmittelbar nach ihrem Beginn eine erste neue Stilrichtung.

 

 

Die Gruppe um Blomefield wurde rasch größer. Bald kamen Barankinya Gosta, Wazi Maicolo, Blomefields Koch, und Bernard Matemera hinzu. Ihre Werkzeuge stellten die Künstler aus landwirtschaftlichen Geräten und Metallstücken selbst her. Bereits im ersten Jahr Tengenenges gelang es sieben Skulpturen über die Nationalgalerie in Salisbury zu verkaufen. Das offensichtliche Talent seiner ungebildeten Arbeiter muss für Blomefield eine Art Offenbarung gewesen sein. Seine Hoffnung, aus der Bildhauerei eine dauerhafte Existenzgrundlage zu erwirtschaften, schien sich zu erfüllen. Aus den umliegenden Dörfern und nahen Farmen kamen immer mehr Menschen nach Tengenenge.

Tom Blomefield stellte jedem, der es versuchen wollte, Werkzeug, Stein, Nahrung und Unterkunft zur Verfügung. Bald war in der ganzen Region das Klingen der Hämmer und Meißel zu hören.

Die Arbeiten aus Tengenenge wurden in der Nationalgalerie ausgestellt und verdoppelten innerhalb kürzester Zeit deren Verkaufszahlen. Skulpturen von Henry Munyaradzi, Josia Manzi, Fanizani Akuda, Amali Malolo, Ephraim Chaurika, Sylvester Mubayi, Leman Moses, Luigi Purumelo und Wazi Maicolo, zählten zu den wichtigsten Stücken der jährlichen Ausstellung der Galerie.

Die Verbindung mit Frank McEwen, dem Direktor der National Galerie, hielt allerdings nur drei Jahre. Trotz Übereinstimmung in puncto Freiheit und Individualität, verfolgten McEwen und Blomefield unterschiedliche Ansprüche und Zielrichtungen. McEwen sah in Verkauf und Ausstellung von Stücken, die seine Kriterien von Kunst nicht genügten, einen Verrat an der Kunst. Blomefield warf er vor, seinen Künstlern gegenüber zu unkritisch zu sein und jede Arbeit als Kunst zu akzeptieren.

Blomefields Ansprüche waren weniger elitär, sein Hauptanliegen war immer, den Bewohnern seines Dorfes, zu dem seine Farm inzwischen angewachsen war, eine Lebensgrundlage zu bieten und weniger, die Kriterien von Ästhetik und künstlerischer Authentizität zu diskutieren. Nachdem McEwen einige Arbeiten aus Tengenenge, darunter Stücke von Bernard Matemera, zurückgewiesen hatte, distanzierte sich Tom Blomefield von der Nationalgalerie und weigerte sich Werke seiner Bildhauer weiterhin dort auszustellen.

Erstes Resultat war, daß Kunden und Interessierte selbst nach Tengenenge kamen. Die Künstler erlebten, welche Begeisterung ihre Arbeiten auslösten und wurden dadurch wesentlich ermutigt, weiterzumachen.

Da Tom Blomefield aber nach wie vor darauf angewiesen war, Umsatz zu machen, mussten neue Märkte erschlossen werden. In den Anfangsjahren Tengenenges hatte er einen „makuwa” angelegt, eine Art Friedhof, auf dem die Stücke gesammelt wurden, die durch die strengen Auswahlkriterien von Mr. McEwen gefallen waren. In Südafrika fanden diese Skulpturen dermaßen große Beachtung, dass Blomefield sie direkt von der Ladefläche seines Lkws verkaufen konnte. Mit einer Galerie im Meikles Hotel in Salisbury und Verkaufsausstellungen in Malawi und Mosambique hatte Blomfield den Grundstein für die erfolgreiche Vermarktung seiner Skulpturen schließlich gelegt.

Aus dem Bewusstsein von Opposition und Widerstand gegen die Art Gallery entwickelte Tom Blomefield die eigene Identität seiner Bildhauerkooperative Tengenenge. Während in der Nationalgalerie eine bürokratische Institution mit ihren hierarchischen Strukturen und einem autoritären Direktor an der Spitze stand, arbeiteten die Künstler in Tengenenge in einer Atmosphäre, die mit liberal bis anarchistisch umschrieben werden kann.

Die Zahl der Bildhauer in Tengenenge wuchs weiter, so musste auch Blomefield ein Minimum an Organisation einführen. Er beauftragte Leman Moses mit der Verteilung der täglichen kostenlosen Mahlzeiten an die Künstler und übertrug ihn die Verantwortung für die Werkzeuge. Es wurde eine Schmiede mit Blasebälgen aus Ziegenleder errichtet. Aus Blattfedern ausrangierter Lkws wurden Meisel gefertigt, Hammer- und Axtstiele aus den Ästen der Bäume geschnitten.

Obwohl keiner der Künstler der ersten Generation eine Ausbildung genossen hatte oder Erfahrungen mit Kunst hatte, waren sie alle geschickte Handwerker. Sie waren daran gewöhnt, harte körperliche Arbeit zu verrichten und konnten alle anfallenden Reparaturen an ihren Werkzeugen und Häusern selbst ausführen.

Blomefield und seine Künstler pflegten ihr primitives Image. Die Straße war nicht geteert, es gab keinen Strom und kein fließendes Wasser. Auch als verschiedene Künstler gute Preise für Ihre Arbeiten erzielten, setzten sie ihre einfache Lebensweise fort und zogen es vor, wie die Landarbeiter in der Umgebung, in ihren Lehmhütten in der Abgeschiedenheit am Fuße des Great Dyke zu wohnen.

Die Idylle hielt bis Anfang 1973, als der rhodesischen Befreiungskrieg ausbrach und die Sicherheitslage sich dramatisch zuspitzte. Es kamen immer weniger potentielle Käufer nach Tengenenge und immer mehr Bildhauer wanderten ab und suchten Zuflucht in der Hauptstadt oder ihren Heimatdörfern. Bis Kriegsende war der Absatz der Skulpturen praktisch zum Erliegen gekommen und alle Bildhauer außer Josia Manzi und seine Familie hatten die Gemeinschaft verlassen. Ende 1979 musste Tom Blomefield Tengenenge schließen.

Als Zimbabwe 1980 unabhängig wurde, versuchte Tom Blomefield den Wiederaufbau seiner Kooperative. Für eine Reihe von Künstlern hatte der Gedanke, wieder in das Dorf im Busch zu ziehen, aber wenig Verlockendes. Blomefield hatte ihnen in Harare Häuser vermittelt und versorgte sie mit Stein. Einige waren wohlhabend geworden und wollten unabhängig bleiben. Der Wiederaufbau des Künstlerdorfes ging nur langsam voran. Ein kleiner Boom ging zwar von den vielen Korrespondenten und Journalisten, die sich nach Kriegsende in Zimbabwe aufhielten, aus, aber bald folgte eine erneute Talsohle.

Dann setzte Blomefield ein Signal.

Er war mittlerweile fast mittellos und beschloss ganz und ständig mit seinen Künstlern zu leben. Mit ihm kehrte Bernard Matemera zurück, ebenso Makina Kameya und Wazi Maicolo. Andere wie Fanizani Akuda entschieden sich, in ihren eigenen Werkstätten zu bleiben, ihre Stücke aber in Tengenenge auszustellen und die Gemeinschaft damit am Erlös zu beteiligen. Bald war der Geist der früheren Jahre wieder zu spüren, das Leben begann von neuen. Es wurden Häuser gebaut und es kamen neue Künstler hinzu. Die Bescheidenheit in der einige der erfolgreichsten Künstler Zimbabwes lebten, war zum Lebensstil geworden und weckte weltweites Interesse. Auf der Suche nach neuen Kunstformen fanden ausländische Museen und Galerien nach Zimbabwe. Große internationale Ausstellungen in Europa und USA, begleitet von einer Vielzahl von Veröffentlichungen sorgten für eine weltweite Begeisterung für die Steinskulpturen aus dem Bildhauerdorf Tengenenge.

Heute ist Tengenenge in vielerlei Hinsicht ein besonderes Zentrum innerhalb der afrikanischen Kunstwelt. Die „Shona Skulptur” wird als eine der reinsten Kulturentwicklungen dieses Jahrhunderts bezeichnet und Tengenenge wird in ihr als eine eigenständige Bewegung gesehen.

Doch ist Tengenenge nicht nur aus künstlerischer Sicht absolut bemerkenswert. Hier herrscht auch eine einmalige soziale Situation. Auf der Farm lebte immer schon ein buntes Gemisch aus Menschen der unterschiedlichsten Herkunft. Zu den ortsansässigen Shona gesellten sich Arbeiter aus den Nachbarländern und Angehöriger anderer Völker Rhodesiens. Da Tom Blomefield seine Arbeiter nach Abschluss der Saisonarbeiten weiterbeschäftigte, konnte sich unter ihnen bei gemeinsamen Feiern und Riten, durch Heiraten und Beziehungen ein Angleichungsprozess entwickeln. Diese Entwicklung hat sich bis heute erhalten. Die Künstler leben in der fröhlichen Gemeinschaft eines traditionellen afrikanischen Dorfes. Unabhängig von Herkunft, Geschlecht und Berühmtheit herrscht Gemeinschaft, getragen von gegenseitigem Respekt.

Noch heute wird jeder Neuankömmling, der sich in Tengenenge niederlassen möchte integriert, erhält Unterkunft, Verpflegung, Werkzeug und Stein. Etablierte Künstler betrachten es als ihre Pflicht, talentierte Anfänger zu unterstützen. Anfänger haben, als eine der wenigen Regeln Tengenenges, das absolute Kopierverbot zu beachten. Zwar erhalten die Schüler die Möglichkeit die Fähigkeiten zur Meister zu erlernen, ihre Arbeiten aber dürfen ausschließlich Produkte ihrer eigenen Kreativität und ihres Talents sein. Stellt sich nach einer gewissen Zeit heraus, dass ein Neuling absolut kein Talent besitzt, wird er höflich aufgefordert, sich doch anderswo zu versuchen. Ist er begabt, steht einem Daueraufenthalt in Tengenenge nichts im Wege.

Finanziell trägt sich die Gemeinschaft nach wie vor selbst. Von allen Verkaufserlösen bleibt ein Drittel in der Gemeinschaft, um deren ständigen Auslagen zu decken. Gelder für größere Unternehmungen wie die Stromversorgung und die Wasserleitung kamen von der deutschen und der holländischen Botschaft in Harare. Andere Vorhaben und Aktivitäten, wie den Ausbau der Zufahrtsstraße, deckte Bernard Matemera mit Preisgeldern und dem Erlös aus dem Verkauf seiner Skulpturen.

Bernard Matemera ist sowohl in künstlerischer als auch in sozialer Hinsicht der führende Kopf der Gemeinschaft. Bernard war von Anfang an in Tengenenge und zählt heute zu den wichtigsten Bildhauern der Welt.

Jacques Chirac sagte anlässlich der Matemera Ausstellung „Serpentines” in Paris im März 1997: „Die Steinskulpturen von Bernard Matemera sind ein ursprüngliches und spektakuläres Zeugnis der zeitgenössischen Kunst Zimbabwes, die stetig steigend die Aufmerksamkeit einer ständig zunehmenden Zahl von Kunstliebhabern und –kennern weltweit gewinnt. Frankreich ist stolz die Werke eines großartigen Künstlers willkommen zu heißen, Meisterwerke, die die Vitalität der Kultur Zimbabwes ausdrücken.”

Bernards Arbeiten wurden von Frank McEwen aus ästhetischen Gründen abgelehnt. Nachdem er 1986 die Anerkennung der Kritiker auf der prestigeträchtigen Triennale in New Delhi gewonnen hatte, folgten Ausstellungen in den USA und in Europa. Als späte Genugtuung ziert heute eines seiner bekanntesten Werke, „Man Changing into a Rhino”, den Eingang der Nationalgalerie in Harare.

Er erfüllt die Funktion eines Familienoberhauptes, des Vorsitzenden des Ältestenrates, des Friedensstifter und des Vermittlers. Er versucht Probleme innerhalb der Gemeinschaft auf dem Hintergrund traditioneller afrikanischer Ethik zu lösen. Er zögert nicht, einen N’anga hinzuzuziehen, wenn Probleme sich als ernsthaft erweisen. Ein N’anga ist nicht nur traditioneller Heiler, er besitzt auch die Fähigkeit mit Hilfe der rituellen Reinigung Unfrieden aus der Welt zu schaffen. Er genießt das Vertrauen aller Dorfbewohner, seine spirituelle Autorität ist unbestritten.

Heute ist ein Bedürfnis nach Komfort im Dorf stärker ausgeprägt, der Wunsch nach Gesundheitsfürsorge, Bildung und Absicherung für die Zukunft ist größer als in der Vergangenheit. Viele Künstler errichten Häuser in ihren Heimatdörfern, kaufen Farmen und investieren Geld in die Bildung ihrer Kinder. So sichert Tengenenge den Lebensunterhalt vieler Familien und garantiert seinen eigenen Fortbestand und damit die Entwicklung der Bildhauerbewegung Zimbabwes.

Zwar ist mittlerweile auch die Technik mit Computer, Telefon und Elektrizität in Tengenenge eingezogen, dennoch hat der Ort nichts von seinem Charme und seiner Einzigartigkeit verloren. Vor den Lehmhütten brennen Feuerstellen, die Frauen fegen und putzen ihre Hütten, Kinder spielen Fußball mit einem selbstgebastelten Ball, dazwischen stehen hunderte von Steinskulpturen unterschiedlichster Größen, Formen und Farben, sind aufgestellt auf Baumstämmen, Steinen, stehen im Gras oder zieren die Wohnhütten der Künstler.

Tom Blomefield - Tengenenge